„Die Stiftung soll Demokratie vor Ort erlebbar machen“
Ein Gesetz zur Errichtung einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ wurde am Freitag in erster Lesung im Bundestag beraten. Darüber haben wir mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Marianne Schieder gesprochen. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien und zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion.
DEMO: Warum soll eine „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ ins Leben gerufen werden?
Marianne Schieder: Das ist ein altes Anliegen der SPD und wurde schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen, dass wir uns in Deutschland intensiver mit den Orten beschäftigen, an denen die Demokratie erstritten worden ist oder für sie gekämpft wurde. Für die Idee wirbt seit Langem auch unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Diese Stiftung soll nun gegründet werden und die Bundesregierung hat auch ein Rahmenkonzept vorgelegt. Der Grundgedanke ist: Demokratie soll vor Ort erlebbar gemacht werden. Wir wollen Lernorte entwickeln, an denen man sich mit der Entstehung der Demokratie auseinandersetzen kann – mit den Erfolgen, aber auch mit den Rückschlägen in der Geschichte. Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen, sie wurde über einen langen Zeitraum erkämpft.
Um was für Orte geht es dabei?
Es geht zum Beispiel um das Hambacher Schloss, wo 1832 mit einem Fest für Freiheit, Einheit und Demokratie geworben wurde – hier hat unsere schwarz-rot-goldene Flagge ihren Ursprung. Oder den Friedhof der Märzgefallenen in Berlin, der an die Toten der Revolution 1848 erinnert. In der Paulskirche in Frankfurt am Main war das erste deutsche Parlament zusammengekommen. Zu nennen wäre auch das Weimarer Nationaltheater oder die Nikolaikirche in Leipzig und noch viele mehr.
Diese Orte sind jetzt schon touristische Anziehungspunkte. Braucht es die Stiftung da überhaupt noch?
Ja. Diese Anziehungskraft müssen wir nutzen. Es gibt bereits ein Netzwerk, das nennt sich „Orte der Demokratiegeschichte“. Damit haben sich 2017 alle möglichen Einrichtungen zusammengeschlossen, die mit solchen Orten zu tun haben. Dort wurde vieles ehrenamtlich und mühselig aufgebaut. Für diese großartige Arbeit wollen wir jetzt als Bund auch Geld geben. Die Stiftung soll bestehende und neu aufzubauende Erinnerungsorte unterstützen. Und sie soll die Vernetzung fördern, sodass die Kooperation mit nationalen und internationalen Einrichtungen leichter wird, zum Beispiel mit Museen. Wir wollen mehr ermöglichen.
Was eine Stiftung bewirken kann, hängt auch vom Geld ab, mit dem sie ausgestattet ist. In welcher Größenordnung wird hier geplant?
Zehn Millionen Euro im Jahr sind das Ziel. Das hat der Bundestag bereits in einem Antrag vor zwei Jahren beschlossen. In diesem Jahr sind es drei Millionen Euro Startkapital. Der genaue Betrag ist noch nicht ausgehandelt. Als SPD achten wir aber darauf, dass aus der Stiftung nicht einfach nur ein Sanierungsprogramm für Immobilien gemacht wird – in der Paulskirche oder in Weimar gibt es da einiges zu tun. Sondern die Orte sollen auch mit Leben gefüllt werden: Mit Vermittlungsarbeit, Pädagogik und Diskussionen.
Stiftungssitz wird Frankfurt am Main sein. Für die Ersteinrichtung sind 300.000 Euro vorgesehen. Mit den Jahren sollen die Mittel dann erhöht werden. Wir hoffen, dass bis 2025 insgesamt ein zweistelliger Millionenbetrag bereitgestellt werden kann. Und da kommen ja noch Landesmittel et cetera dazu, die Orte finanzieren sich ja auch in Zukunft nicht allein mit Geld vom Bund.
Von der Stiftung sollen nicht nur große Einrichtungen, sondern auch Projekte in kleineren Orten profitieren, die für die Demokratiegeschichte von Bedeutung sind. Was sollten die kommunalen Kulturpolitiker*innen über die Stiftung wissen?
Hier gilt schon die alte Faustformel: Für Kultur sind in erster Linie die Länder zuständig und der Bund kann nur fördern, was von bundesweiter Bedeutung ist. Da fallen einem natürlich zuerst Städte wie Frankfurt, Berlin oder Weimar ein. Aber eine Einrichtung, die von nationaler Bedeutung ist, muss nicht zwangsläufig so groß sein die wie Paulskirche. Es können auch mehrere kleine Orte sein, die zusammen von Bedeutung sind. Oder der Geburtsort einer wichtigen Person. Da ist es sicher ratsam, dass die Kommunalpolitiker*innen bei sich in der Stadt oder Gemeinde schauen: Haben wir so einen Ort und wenn ja, wie können wir uns da einbringen? Dazu gehört dann auch, dass in der Gemeinde etwas entwickelt wird, dass Veranstaltungen stattfinden und dergleichen mehr.
Über die geplante Stiftung muss jetzt der Bundestag beraten. Gibt es schon einen Zeitplan, wann das Gesetz verabschiedet sein soll?
Die Tagesordnungen sind in den nächsten Wochen sehr voll. Aber wir wollen die Stiftung auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Ich gehe davon aus, dass wir das wie geplant im Juni hinkriegen.
Mehr Informationen zum Gesetz:
bundestag.de
Update 10. Juni 2021:
Der Deutsche Bundestag hat die Errichtung der Stiftung am 9. Juni 2021 beschlossen. Mehr dazu: bundestag.de
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.